.......Um die gepredigten Worte zu unterstreichen, die aus seinem Munde überquollen, gestikulierte Bernhard wild mit seinen Händen umher und schlug beim Schlusswort seine wulstige Faust auf den Tisch, sodass Teller und Krüge wild aneinander prallten, ohne jedoch zu Bruch zu gehen. Einige Männer, die gespannt zugehört hatten, zuckten kurz zusammen. Für einen Augenblick lang herrschte nach der rauschenden, eindrucksvollen Rede des stattlich aussehenden Kämpfers, welcher mit einem beneidenswerten überragenden Tenor ausgestattet war, Stille. Stille die einem beinahe erdrückte. Kurz darauf brach ein tosender Applaus seiner Brüder aus und ließ den Raum mit einer euphorischen Energie anschwellen. Auch Henri klopfte anerkennend mit seiner Faust auf den Tisch, um die mitreißende Rede für hervorragend zu quittieren. Er war immer noch erstaunt, dass er in derselben Zeit das Gefühl hatte, dass etwas nicht in Ordnung wäre, wie Bernhard. Er war nicht einmal in der Nähe seiner Brüder und als er ihnen die Veränderung mitteilen wollte, wussten sie es alle schon. Sie alle hatten zur selben Zeit dieselbe Eingebung. Sie alle waren feinfühlig und Visionäre. Trotz ihrer Ausbildung zum Kampf und dem großen geistigen Wissens. Obwohl Henri schon sehr lange im Inne‐ ren Kreis aufgenommen war, brachten ihn gewisse Vorgänge nach wie vor zum Staunen.   Bernhard riss Henri aus seinen Gedanken, als er plötzlich neben ihm stand und mit der starken Hand auf die Schulter klopfte. „Komm mit, Henri“ Dabei strahlten die grünbraunen Augen des älteren Mannes etwas Geheimnisvolles aus. Seine dicken, buschigen braunen Augenbrauen hingen tief und ließen seinen Blick grimmig wirken. Jedoch das täuschte. Als Henri dem älteren Templer in einen Nebenraum folgte und die Türe hinter sich schloss, fing Bernhard zu schmunzeln an. Henri vermutete jedenfalls, dass es ein Lächeln war. Aufgrund der buschigen Augenbrauen und des schmalen Mundes, der zu einem Lächeln verzerrt war, wirkte das Gesamtbild eher etwas unheimlich als freundlich. Vermutlich hatte Bernhard in der langen Zeit des Krieges das Lächeln verlernt und es waren die einen oder anderen Muskelpartien etwas eingerostet. Henri konnte im innersten eine freundliche Wärme des aus äußerer Sicht verhärmten Mannes spüren. „Henri“, fing Bernhard mit tiefer rasselnder Stimme an, „du bist seit einiger Zeit in unserem Inneren Kreis aufgenommen worden und hast viel von Pierre gelernt.“ Bernhard wartete kurz ein zustimmen‐ des Kopfnicken von Henri ab und setzte sogleich fort: „Du hast dich bewährt und bist auch sehr talentiert. Nicht nur was das Führen der Klinge betrifft. Im geistigen Bereich, sowie deine Eingebungen und Visionen sind herausragend.“   Henri getraute sich nicht diese Salve zu unterbrechen, da er nun verunsichert war. Was wollte Bernhard von ihm? Was sollte das lange Gerede? Bernhard räusperte sich kurz, holte etwas aus einer Kiste heraus und umschloss es mit beiden Händen. Dabei machte er feierlich seine Augen zu, holte tief Luft und blickte beim Ausatmen den Schützling von Pierre mit leuchtenden Augen an. „Henri“, fing Bernhard erneut an, „hiermit ernenne ich dich offiziell und feierlich als Vollmitglied der Baphometischen Gesellschaft der Abraxas‐Jünger.“ Dabei überreichte er ihm ein kleines rundes Siegel, in dem etwas eingraviert war. Erstaunt und mit weit aufgerissenen Augen nahm Henri das Siegel entgegen. Er brachte vorerst kein Wort heraus und musste mehrmals schlucken, ob‐ wohl es ihm mit seiner trocken gewordenen Kehle schwer fiel. „Danke“, brach er lediglich mit krächzender Stimme hervor. Mehr wusste er nicht dazu zu sagen. Er war perplex und starrte auf das Siegel, welches nun in seinen zittrigen Händen lag. Er konnte ein seltsames Gebilde, bestehend aus einem Hahnenkopf, einem Menschenkörper und einem Fischschwanz sehen, welches mit einem Spruch umrahmt war: SECRETUM TEMPLI. Immer wieder musterte er das Wesen und die Schrift murmelte er zum wiederholten Male. Lachend klopfte Bernhard seinem neuen Schützling auf die Schulter. „Mir erging es ebenso! Wenn du dich wieder gefasst hast, komm mir nach“, munterte Bernhard den jungen Mann auf und setzte im geheimnisvollen und leisen Ton nach: „Ich möchte dir noch etwas zeigen.“ Dabei drückte Bernhard einen kleinen Hebel neben dem offenen Kamin. Henri konnte ein leises Klicken wahrnehmen. Kurz darauf löste sich eine kleine Verriegelung und ein Holzregal, in dem sehr alte und verstaubte Bücher sorgfältig aufeinander geschichtet waren, schob sich mit einem leisen knarrenden Geräusch nach vorne. Obwohl sich Henri noch immer im positiven Sinne erschlagen fühlte und ihm von der Stille und der Freude seine Ohren dröhnten, sah er dem bizarren Schauspiel mit offenem Mund zu. Er musste tief durchatmen, um seinen Verstand wieder zu finden. Vorsichtig steckte er das Siegel unter seinen Lederwams und folgte dem erfahrenen Templer neugierig durch den Spalt des geöffneten Holzregals.  

 

 

......Vorsichtig schlüpfte Henri durch den engen Spalt des Holzregals. Aufgrund seiner muskulösen und durchtrainierten Statur gestaltete sich dieses Vorhaben recht mühsam. Der junge Templer hielt angestrengt die Luft an und konnte sich letztendlich durch die schmale Öffnung zwängen. Er war sehr neugierig was ihn am anderen Ende wohl erwarten könnte. Die offizielle Aufnahme in den inneren mystischen Kreis der Tempelritter war schon aufregend genug und das überreichte Siegel drückte unterhalb des Wamses leicht gegen die Haut seines Brustkorbes. Es fühlte sich noch recht kalt an. Doch nach und nach wurde das Teil aus Gold von der Hitze seines Körpers aufgewärmt. Der junge Mann befand sich nun in einem aus dem Stein gehauenen Tunnel. Vereinzelte Fackeln, die im Mauerwerk verankert waren, erhellten die breiten Steinstufen, die in die Tiefe führten. Henri riss seine Augen weit auf und stammelte ungläubig in die Tiefe: „Bernhard? Was ist das hier?“ „Folge mir, dann wirst du es sehen!“, hallte die tiefe brummige Stimme aus dem dunklen Ungewissen. Henri kniff seine Augen zu einem Schlitz zusammen, doch nach einer Weile gewöhnten sich die Augen des jungen Mannes an die diffusen Lichtverhältnisse und er konnte langsam die Treppen hinunter steigen. Sein Schatten, welcher durch die Fackeln wanderte, huschte wie ein dunkler Begleiter an der Steinmauer vorbei und überholte Henri bei den immer hastig werdenden Schritten.   Als die Treppen aufhörten, führte ein ebenerdiger, langgezogener Gang ins nächste Ungewisse. Der junge Ritter kam aus dem Staunen nicht mehr heraus und sah sich neugierig um. Er konnte jedoch nicht viel mehr als Steinmauern, Fackeln in behauenen Nischen und einen Boden aus feinem Kiessand entdecken und setzte so seinen Marsch fort. Lang‐ sam ging er über den sandigen Boden, der teilweise mit kleinen spitzen Kieselsteinen bestückt war. Henri war noch immer barfuß unterwegs und zuckte bei den besonders spitzen Steinchen jedes Mal leicht zusammen. Da der Gang recht eng war, musste Henri aufpassen, dass er nicht zu fest an der Mauer streifte. Hin und wieder bröckelte feiner Gesteinsstaub von der Mauer und rieselte kaum hörbar auf den Boden. Am Ende des Ganges stand Henri nun vor einer Holztür. Die Tür war nicht ganz geschlossen, so dass warmes flackerndes Kerzenlicht durch den leicht geöffneten Tür‐ spalt nach draußen drang. Mit einem knarzigen Geräusch öffnete Henri das Tor zum Verborgenen und als er in den Raum trat, stockte ihm der Atem. Es war eigentlich kein Raum, sondern erstaunlich groß für ein unterirdisches Versteck. Es sah beinahe aus wie ein Saal, der vereinzelt durch Säulen unterbrochen war. An der Seite standen Regale und Tische mit seltsam aussehenden Glasröhrchen und Fläschchen mit geheimnisvollen Inhalten. Waren das Flüssigkeiten?   Neugierig trat Henri näher an eines der Regale und betrachtete ein Fläschchen aus nächster Nähe. Vorsichtig strich er mit seinen Fingern über die fremdartigen Utensilien. „Sei vorsichtig!“, warnte ihn Bernhard mit ernster Stimme, „sieh zu, dass nichts zu Bruch geht. Einige Inhalte sind giftig!“ Kaum waren diese Worte aus Bernhards Mund gekrochen, schreckte Henri hastig zurück. Unsicher wischte er die Finger an seiner Kleidung ab, in der Angst, giftige Rückstände könnten auf der Haut haften geblieben sein. Noch immer sah sich Henri wortlos um. Als er an einem Regal voller Bücher vorbeikam, las er das Wort „Alchemie“ auf einem Buchrücken. Erstaunt blickte der junge Mann nun zu Bernhard, hob die rechte Augenbraue hoch, formte seine Lippen und wollte soeben eine Frage los werden. Doch Bernhard kam ihm zuvor: „Ja Henri, wir wurden auch in die Kunst der Alchemie  eingeweiht. Die Zeit ist reif, dass auch du eingeweiht wirst. Mit all ihren Symbolen, die wir auch teilweise an unseren Fresken in Kirchen und Gemäuern verewigt haben. Als eine Art Geheimcode.“, fügte der erfahrene alte Mann geheimnisvoll hinzu. Henri entspannte seinen Mund wieder und setzte seine Erkundungstour fort. Bernhard sah den jungen Mann belustigt von weitem zu und freute sich über dessen Neugierde. Schlussendlich gelangte Henri an einem brodeln‐ den Kesselinhalt. Das darunter liegende Holz loderte nur mehr leicht. Ahnungslos hinsichtlich des Kesselinhaltes griff Henri nach einem Scheit aus dem daneben aufgeschichteten Holzstoß und legte es behutsam in das leicht aufflackernde Feuer.   Mit einem Zischen und Knacken umschlangen die beinahe ausgehungerten Flammen das neue Holzstück und nährten sich mit einem empor‐ schießenden Aufflackern dankbar hoch. Henri zog blitzschnell seine Hand zurück und vermied so eine Brandblase an seinen Fingern. Bernhard stand derweilen hinter ihm, die Arme ineinander verschränkt. Lang‐ sam schritt er auf Henri zu und wirkte nachdenklich. Das flackern der Flammen vom Feuerplatz und die tanzenden Lichter der Fackeln wirkten auf die beiden beruhigend. Henri starrte noch immer in die Flüssigkeit des Kessels. „Was ist das?“, fragte er leise, um die angenehme Stille nicht allzu abrupt zu unterbrechen. Doch das war gar nicht notwendig, als ihm Bernhard mit seinem lauten, rasselnden Tenor antwortete, war die Stille bis in die letzte Ecke des Raumes erfolgreich verdrängt: „Das kann ich dir noch nicht erklären. Du würdest es zu diesem Zeitpunkt noch nicht verstehen. Lies erstmals die Bücher, dann erst können wir mit der Praxisausbildung beginnen.......